"DER STANDARD"-Kommentar: "Zwergenrevolte mit Riesenpotenzial" von Gerald John

Die SPÖ-Rebellion gegen den Fiskalpakt kommt spät – aber aus gutem Grund – Ausgabe vom 9.5.2012

Wien (ots) – Sie hätten ihn wohl abgenickt wie tausende Gesetze zuvor. Die Oppositionellen hätten gezetert, einzelne Koalitionäre pflichtschuldige Bedenken eingestreut, doch am Ende wäre der Fiskalpakt reibungslos durchs Parlament geflutscht, ohne große öffentliche Aufmerksamkeit – obwohl dabei viele Abgeordnete der Regierung, zumindest auf der SPÖ-Seite, arges Bauchweh geplagt hätte. Francois Hollandes Sieg bei der französischen Präsidentenwahl sei Dank, dass sich die Parlamentarier doch noch aufmucken trauen. Ein roter Abgeordneter nach dem anderen verweigert plötzlich das bedingungslose Ja zum Fiskalpakt, das sich die Regierung in bequemer Gewohnheit erwartet hat. Erst wollen die Aufmüpfigen abwarten, ob das Regelwerk – wie von Hollande gefordert – tatsächlich reformiert oder ergänzt wird, um das Wirtschaftswachstum zu stimulieren. Einzelne kündigen gar Tollkühnes an: Sie drohen, gegen die Linie der eigenen Regierung zu stimmen. Ein Zwergenaufstand? Europaweiter Rückenwind verleiht der Rebellion Schwung. Anders als auf dem Höhepunkt des Schuldenbremsen-Hypes lassen sich Kritiker des einseitigen Sparzwangs heute nicht mehr ohne weiteres als verantwortungslose Fantasten abstempeln. Von Nobelpreisträgern abwärts warnen Wirtschaftsforscher vor Europas ökonomischem “Selbstmord” (Joseph Stiglitz), selbst Ratingagenturen halten die reine Kürzungspolitik in der Krise für gefährlich. Mit Hollande reiht sich nun ein Schlüsselspieler in den Widerstand ein. Warum, lässt sich von Griechenland bis Spanien beobachten: Robuste Volkswirtschaften wie Österreich mögen Sparpakete, zu denen die strengen Regeln des Fiskalpakts zwingen, trotz Wachstumsflaute verdauen, doch die Krisenstaaten schickt der kollektive Tritt auf die Ausgabenbremse nur noch schneller auf Talfahrt. Die Wirtschaft schrumpft, dafür steigen die Arbeitslosigkeit und letztlich auch die Schuldenquote. Die Finanzmärkte werden erst recht nicht frohlocken. All das haben auch heimische Sozialdemokraten oft kritisiert. Doch im Gegensatz zu Kanzler Werner Faymann, der die strikten Defizit- und Schuldengrenzen auf jeden Fall – mit oder ohne zusätzlichen Wachstumspakt – ziehen will, nehmen einige Abgeordnete die eigene Rhetorik nun endlich ernst. Auch aus nacktem Eigeninteresse sind die Mandatare gut beraten, den Fiskalpakt nicht einfach durchzuwinken, zumal dieser die Budgethoheit – das Königsrecht des Parlaments – aushöhlt. Genehmigungs- und Kontrollbefugnisse, Sanktionsrecht und die Definitionshoheit über das maßgebliche, konjunkturbereinigte Defizit bescheren der EU-Kommission viel Macht. Demokratisch gewählt ist diese aber bestenfalls über mehrere Ecken. Im Alleingang wird ein Häufchen österreichischer SPÖ-Abgeordneter nicht am Fiskalpakt kratzen können. Doch auch Regenten eines Kleinstaates können in Brüssel Wirkung entfalten, wenn sie sich um Allianzen bemühen. Kanzler Faymann sollte den Hinweis auf die wackelnde Mehrheit im heimischen Parlament als Druckmittel nützen, damit die nun von allen Seiten verheißene wachstumsfreundliche Politik kein leeres Versprechen bleibt. Die Ausrede, dass ein braver österreichischer Sozialdemokrat gegenüber der bösen konservativen Übermacht in Europa auf verlorenem Posten steht, zieht seit Francois Hollandes Wahlsieg nicht mehr.

Rückfragehinweis: Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: https://www.ots.at/pressemappe/449/aom

 

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