"DER STANDARD"-Kommentar: "Die Stunde der Islamisten" von Gudrun Harrer

Autoritäre Regime produzieren Extremisten – und halten sie gleichzeitig in Schach – Ausgabe vom 5. April 2011

Wien (ots) – Als Saddam Hussein 2006 unter dem Galgen stand und seine euphorisierten Henker schiitisch-islamistische Parolen riefen, da konnte einem schon die Frage durchzucken, ob es mit der Bollwerkfunktion Saddams gegen religiösen Extremismus – die er selbst stets als Lebensversicherung seines Regimes ansah – nicht doch etwas Ernsthaftes auf sich gehabt hatte. Aber dieser Gedanke setzt natürlich falsch an. Es ist so, dass nach dem Sturz des Diktators jene extremistischen Kreaturen losgelassen wurden, die er – in diesem Fall – zwar nicht selbst geschaffen hatte, die jedoch unter seiner Diktatur erst so richtig gediehen. Mit den im vergangenen Jahr gestürzten autoritären Regimen in der arabischen Welt – sowie mit den noch zu stürzenden – verhält es sich nicht viel anders. Sie waren das Problem, für das sie zugleich, mit stiller Zustimmung des Westens, die Lösung anboten: Repression. Der Arabische Frühling hat jedoch nicht nur die demokratischen Kräfte freigesetzt – wozu durchaus auch islamische gehören -, sondern die radikalen Islamisten ebenfalls. Und wie an den Entwicklungen in Mali zu sehen ist, spüren nicht nur die Umsturzländer die Folgen, sondern weite Regionen. Islamistische Projekte kennen meist keine nationalen Grenzen und solche aus der Kolonialzeit schon gar nicht. Konnte man das vorher wissen? Ja, das konnte man, und es gab auch warnende Stimmen. Das ändert andererseits nichts daran, dass der Sturz dieser Regime notwendig war und ist. Aber besonders im jetzt brisanten nordafrikanischen Fall, wo die Nato mit dem Segen der Arabischen Liga das allen gleich lästige Gaddafi-Regime stürzte, war der politische Wille zur Blauäugigkeit besonders groß. Wie hätte die Nato denn sonst ihre Intervention, die über die “responsibility to protect” weit hinausging, rechtfertigen können? Man gratulierte einander jedoch auch noch zum Erfolg, als schon tonnenweise Waffen und Kriegsmaterial verschwunden – und teilweise zur “Al-Kaida im Magreb” und anderen Gruppen abgewandert – waren. Und es herrschte peinliches Schweigen, als sich die libyschen Säkularen zu beklagen begannen, dass die Islamisten massiv unterstützt würden: aus den Golfstaaten, den Verbündeten des Westens gegen Gaddafi – und jetzt gegen Assad in Syrien. Auch in der Politik läuft es anders als erwartet, siehe die Wahlen in Ägypten. Es stimmt schon, was zu Beginn der Revolten gebetsmühlenartig wiederholt wurde, nämlich, dass bei den Demonstrationen nicht die Scharia, sondern Freiheit und Würde verlangt wurden. Daraus die Absage der Menschen an islamistische Parteien abzulesen war jedoch kühn. Sie sollten bei freien Wahlen nach dem Umsturz ausgerechnet das wählen, wofür ihre gestürzten Regime gestanden waren – Repression der Religion und an den US-Wünschen orientierte Sicherheits-, Außen und Wirtschaftspolitik? Als in Algerien 1991 die Islamisten die Wahlen zu gewinnen drohten, wurde die Uhr in der Region durch einen Putsch angehalten – jetzt läuft sie weiter. Die gefürchteten Muslimbrüder sind inzwischen bürgerlich geworden, “moderat-islamisch”, wie sie medial heißen. Das Wort “Salafist” hingegen ist aus dem Experten- in den normalen Sprachgebrauch gewandert. Es wird auch wieder verschwinden – historisch wird es einmal ein postrevolutionäres Phänomen gewesen sein -, aber das wird noch dauern.

Rückfragehinweis: Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: https://www.ots.at/pressemappe/449/aom

 

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