"DER STANDARD"-Kommentar: "Anleitung zur Anstandslosigkeit" von Michael Völker

Warum man die ÖVP ernst nehmen sollte und warum das so schwer geht. (Ausgabe vom 5.5.2012)

Wien (ots) – Es geht um Anstand. Den sollen ÖVP-Funktionäre künftig pauken, in eigenen Ethik-Seminaren. Wer nicht folgt, der wird gerügt. Dann ermahnt. Im Ernst. Es fällt schwer, sich über den Verhaltenskodex, den ÖVP-Chef Michael Spindelegger am Freitag in Grundzügen vorgestellt hat, nicht lustig zu machen. Dennoch ein Versuch. Anstand kann man nicht lernen. Aber man kann versuchen, ein paar Grundregeln auf dem Weg dorthin zu konkretisieren. Ein paar Beispiele: Darf sich ein Politiker von Unternehmern auf Jagden einladen lassen? Darf ein Politiker betrunken Autofahren? Darf ein Politiker von einem staatsnahen Unternehmen Geld für Inserate keilen? Darf ein Politiker nebenbei für einen Glücksspielkonzern arbeiten? Darf sich ein Politiker von einem staatsnahen Betrieb den Wahlkampf zahlen lassen? Die Antwort sollte bekannt sein. Sie lautet in allen Fällen: nein. ÖVP-Politiker müssen das aber erst lernen. Politiker anderer Parteien müssten das auch, das weiß man aus zahlreichen Beispielen. Der ÖVP kann man jetzt immerhin zugutehalten, dass sie sich bemüht, sich diesen Fragen zu stellen. Der ehrliche Umgang mit dieser Thematik kann schmerzlich sein. Es geht hier nicht (nur) um das Strafrecht, es geht um Anstand. Das hat Spindelegger richtig erkannt. Wenn es in der Volkspartei in Zukunft dafür Kurse gibt, dann ist das zwar auch das Eingeständnis eines manifest verlotterten Zustands – aber Spindelegger will es besser machen. Soll er, gut so. Wenn es dazu Regeln braucht – her damit. Wie auch Spindelegger selbst immer wieder anführt: Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Gerade dort spießt es sich aber. Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter ließ sich auf Jagden einladen, schoss umsonst Tiere. Keine Konsequenzen. Der Vorarlberger ÖVP-Klubchef Roland Frühstück wurde mit 1,0 Promille am Steuer seines Wagens erwischt. Keine Konsequenzen. Der ÖVP-Abgeordnete Werner Amon hat als ÖAAB-Generalsekretär bei der Telekom 10.000 Euro “Druckkostenbeitrag” eingehoben – ohne offizielle Gegenleistung. Die Justiz ermittelt. Keine Konsequenzen. Amon ist immer noch Fraktionsführer im Untersuchungsausschuss. Der ÖVP-Abgeordnete Günter Stummvoll war 2011 zugleich Aufsichtsratschef des Glücksspielkonzerns Merkur Entertainment AG und Vorsitzender des parlamentarischen Finanzausschusses. Er verhandelte das Glücksspielgesetz. Eine klassische Unvereinbarkeit. Den Aufsichtsrat verließ Stummvoll nach entsprechender Berichterstattung; im Parlament bleibt er. Die ÖVP-Abgeordnete Karin Hakl war Telekom-Sprecherin ihrer Partei, die Telekom finanzierte 2008 ihren Wahlkampf mit 20.000 Euro. Die unentgeltliche Funktion als Telekom-Sprecherin legte sie schließlich zurück; bezahlte Abgeordnete bleibt sie. Spindelegger hat recht. Es braucht offenbar Regeln für den Anstand abseits des Strafgesetzbuches. Wie geht man mit Inseraten, mit Einladungen, mit Sponsoring, mit Unvereinbarkeiten, mit Vorteilsannahme um. Spindel-egger und die ÖVP müssen es sich aber auch gefallen lassen, dass sie an der Wirklichkeit gemessen werden. Es helfen keine Regeln, keine Seminare, es hilft kein Ethikrat, wenn den Worten keine Taten, wenn den Verfehlungen keine Konsequenzen folgen. Dann kann man den Verhaltenskodex der ÖVP nicht ernst nehmen. Dann bleibt die Glaubwürdigkeit auf der Strecke.

Rückfragehinweis: Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: https://www.ots.at/pressemappe/449/aom

 

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